Mittwoch, 30. Juni 2021

Weit entfernt von der Stadt der kurzen Wege

Fraktionserklärung zur heute beginnenden Debatte zum Kommunalen Verkehrsrichtplan

Eine ideologiefreie Verkehrspolitik kennt der Zürcher Gemeinderat nicht. Wir gehen daher davon aus, dass die heute beginnende Richtplandebatte eine perfekte Kulisse für einen politischen Showdown zwischen den Anhängern:innen des motorisierten und des nicht-motorisierten Verkehrs bietet. Die typischen Aufregungs-Muster gemeinderätlicher Verkehrspolitik werden voraussichtlich sogar noch mit etwas Pathos ausgeschmückt werden. So werden wir in den nächsten Stunden historische Kompromisse kündigen, die Hände wegen Tempo- und Lärmfragen verwerfen, innovative Mobilitätsformen heraufbeschwören und uns über kilometerweise neue Velovorzugsrouten zanken. Wir Grünliberalen werden bei alldem gerne unsere Sichtweise kundtun. Denn auch wir haben eine klare Vorstellung, wie das Verkehrssystem verändert werden muss, damit unsere Mobilitätsbedürfnisse in umwelt- und klimaverträglicher Weise abgewickelt werden können, ohne dabei die Lebensqualität und die Standortvorteile Zürichs aufs Spiel zu setzen.


Und dennoch ist der kommunale Richtplan Verkehr eine verpasste Chance!


Mut zur Gestaltung statt die immer gleichen Diskussionsschlaufen


Mit den Corona-Lockerungen rücken vergangene Erkenntnisse spürbar wieder in unseren Alltag zurück: Verkehr und Mobilität stossen in unserer Stadt an ihre Grenzen und strapazieren unsere Nerven. Einige unter uns mögen zwar neue Ansprüche von Velofahrer:innen und Fussgänger:innen an den enger werdenden Raum als Einschränkung automobiler Freiheiten empfinden. Andere erfahren diesen Freiheitsanspruch eines einzigen Verkehrsmittels jedoch als Beschneidung ihrer Lebensqualität. Denn der motorisierte Individualverkehr ist nicht nur der grösste Emittent von Treibhausgasen, Schadstoffen und Lärm. Seine räumlichen Bedürfnisse haben auch die Stadtplanung über Jahrzehnte dominiert. Viele Zürcher Plätze, die bloss zur Verkehrsabwicklung dienen und ihre Aufenthaltsqualität hierfür geopfert haben, veranschaulichen dies eindrücklich.


Es ist für uns Grünliberale daher nicht nachvollziehbar, weshalb der Stadtrat und eine deutliche Mehrheit des Gemeinderats darauf verzichten, in einem einzigen kommunalen Richtplan «Siedlung und Verkehr» aufzuzeigen, wie ein nachhaltiges auf Qualität ausgerichtetes Stadtwachstum aussehen soll in Anbetracht der autogerechten Strukturen der Vergangenheit. Wir stellen daher die motivierte Rückweisung, mit welcher wir bereits in der ersten Richtplanrunde keine Mehrheit gewinnen konnten, nochmals. Und wir tun dies aus Überzeugung. Denn nur mit einem Blick aufs Ganze lassen sich die Chancen für die Gestaltung eines lebenswerten Stadtraums und die Entwicklung umweltverträglicher Mobilität nutzen.


Mit einem Tunnelblick auf verkehrspolitische Problemstellungen – wie Parkplätze, Temporegime, und ja auch Velonetze – rücken wir keinen Schritt näher zur Stadt der kurzen Wege, die von den meisten Parteien in der letzten Richtplandebatte gefordert wurden. Im Gegenteil: Wir blenden aus, dass Veränderungen im gebauten Raum von Natur aus träge sind und auch die grandiosesten Anträge uns nicht von heute auf morgen in die Velostadt oder zum Netto-Null-Ziel katapultieren werden.


Schlimmer noch: Die Grundvoraussetzung für nachhaltige Veränderungen unserer Mobilität, nämlich die Entwicklung funktionsgemischter Quartiere, welche die Distanz zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit deutlich reduzieren, drohen in den Hintergrund zu rücken. Dies bedauern wir umso mehr, als die Distanzverkürzung ein zentrales Element grünliberaler Verkehrspolitik ist. Verkehr soll aus unserer Sicht in erster Linie vermieden werden. Erst in zweiter Linie soll unsere Mobilität auf effizientere und stadtverträglichere Verkehrsmittel wie Velo- und Fussverkehr oder den öffentlichen Verkehr verlagert werden.


Potenziale im Stadtraum lassen sich bereits heute deutlich verbessern

 

Da wir heute nun aber in eine auf Teilaspekte fokussierte Stadtplanungs-Debatte einsteigen, wollen wir nicht im Weg stehen. Wir teilen die Meinung der Mehrheit, dass längst fällige Massnahmen zur Verlagerung auf Velo- und Fussverkehr sofort ergriffen werden müssen. Die Defizite im Velonetz und in der Veloparkierung können nicht mehr aufgeschoben werden. Entsprechend teilen wir die Euphorie anderer Fraktionen, dass wir den Verkehrsrichtplan mit einem zusätzlichen Kapitel «Veloverkehr» ergänzen und damit auch die 70-prozentige Zustimmung der Bevölkerung zur Veloinitiative abbilden konnten. Die glp hat sich bei der Ausarbeitung des Velovorzugsrouten-Netzes aktiv eingebracht und u.a. sichergestellt, dass der ganze Stadtraum von Seebach bis Witikon berücksichtigt wurde.


Wir sind aber nicht bereit, der Mehrheit in allen Belangen zuzustimmen. So zum Beispiel beim anstehenden Wertewandel des Parkplatzes vom Fetisch zum Hassobjekt. Die Diskussion rund um den Umgang mit dem ruhenden Verkehr sollte – so medientauglich sie auch sein mag – nicht polemisch geführt werden. Wir benötigen vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Fragen zu den richtigen Anreizen und der Kostenwahrheit.


Schliesslich wollen wir auch keine Denkverbote hinsichtlich Elektromobilität. Diese kann wesentlich dazu beitragen, Lärm- und Umweltemissionen zu begrenzen und Klimaschutzziele zu erreichen. Schon klar: Das geht nur, sofern Elektrofahrzeuge mit erneuerbaren Energien betrieben werden – aber auch hier glauben wir an die Zukunft. Entsprechend haben wir eine Anzahl Anträge zur Bereitstellung von Infrastruktur für Elektromobilität eingereicht.


Die glp hätte sich zwar eine Richtplandebatte gewünscht, welche mit grossen Schritten die Herausforderungen von Stadtentwicklung und Mobilität gemeinsam anpackt. Wir stimmen aber dem Richtplan zu, um wenigstens einen kleinen Schritt weiterzukommen, und weil wir anerkennen, dass die intensive Kommissionsberatung trotzdem dazu beitragen konnte, wichtige Leitplanken für eine stadt- und umweltverträgliche Mobilität zu setzen.